Besondere Dokumentarfilme mit Gästen #15 Im Land der Wölfe
Am Mittwoch, 19. Juni 2024, präsentiert das Filmhaus um 19 Uhr im Saal 1 der Kamera den Dokumentarfilm „Im Land der Wölfe“ von Ralf Bücheler.
Sie sind wieder da. Ein Film über die Rückkehr der Wölfe nach Deutschland – und über einen Streit am Ende der Nahrungskette.
Es ist eine Veranstaltung im Rahmen der Reihe ‚Filmhaus präsentiert: besondere Dokumentarfilme mit Gästen‘. Der Regisseur Ralf Bücheler wird am Abend per Zoom zugeschaltet und stellt sich den Publikumsfragen. Filmhausmitarbeiter Jörg Erber moderiert den Abend.
100 Jahre nach ihrer Ausrottung kehren die Wölfe nach Deutschland zurück, in ein Industrieland voller Menschen. Sie kommen wieder,
weil wir sie lassen. Das haben wir demokratisch entschieden. Ihre Rückkehr ist Ausdruck des Wandels in unserem Umgang mit der Natur.
Wir sind bereit, die Herrschaft über die Erde wieder zu teilen, auch weil wir einsehen: Als Alleinherrschende gehen wir unter.
„Im Land der Wölfe“ erzählt vom Leben unserer neuen Nachbarn. Die Tiere leben nicht in einer verwunschenen Wildnis in Naturschutzgebieten,
sondern mitten unter uns. Sie finden Nischen in der Kulturlandschaft. Sie ziehen sich in die Wüstungen alter Tagebaue zurück, nutzen
unsere Wege, überqueren Autobahnen und laufen durch Dörfer. Ihre Welpen spielen mit unseren Abfällen und trinken aus den Furchen, die
Maschinen im Waldboden hinterlassen. Manchmal fressen Wölfe Nutztiere. Und viele Menschen haben eine tiefsitzende Angst vor ihnen.
Die Landnahme der Wölfe fordert uns heraus – Akteure aus Verwaltung, Wissenschaft, Landwirtschaft, Politik, Naturschutz und der
Bevölkerung diskutieren über die Welt der Wölfe in Deutschland.
Dokumentarfilm, Deutschland 2024, 102 min.
Regiestatement: Ralf Bücheler
Ich wollte schon immer einen Tier-Film machen. Mein allererster Berufswunsch war „Tierforscher“. Ich ging zur Jugend des Bund Naturschutz,
weil ich hier den richtigen Weg ins spätere Berufsleben vermutete. Als ich dann wusste, dass die Arbeit heutiger Biolog:innen vor allem
zwischen Labor und Büro stattfindet, verlor ich mein Ziel wieder aus den Augen. Leider hatte mir niemand von den „Wildtierbiolog:innen“
und ihrem abenteuerlichen Alltag erzählt, der allen romantischen Vorstellungen vom Forscher:innendasein entspricht.
Ich wurde erst Philologe, dann Ethnologe und schließlich Filmemacher. Ich interessiere mich für kontroverse Themen, die sich im Konkreten
manifestieren: Vom Widerstreit zwischen Religion und Säkularismus habe ich 2015 im Dokumentarfilm „Mission Control Texas“ über einen
atheistischen Fernsehsender in den USA erzählt, von der Verunsicherung über die richtige Erziehung zusammen mit meinem Kollegen
Jörg Adolph anhand einer psychosomatischen Kinderklinik („Elternschule“ – 2018). Wichtig war immer der beobachtende Zugang: Mit der
Kamera Teil einer Situation werden, einfach zusehen, nicht fragen, nicht kommentieren – und im Schnitt das „Gesammelte“ zu dichten
Szenen zu montieren.
Die Drehroutine solcher Filme, die in der Tradition des „Direct Cinema“ entstehen, ähnelt der Arbeit von Tierfilmer:innen. Wir
Menschenfilmer:innen tarnen uns hier zwar nicht als Vegetation, Inventar oder Artgenosse, und die Kamera ist immer sichtbar; im Idealfall,
werden wir aber doch Teil der Lebenswelt unserer Protagonist:innen. Wir tarnen uns als Alltag. So verliert sich manchmal die Scheu der
Menschen vor den Fremden mit den Aufnahmegeräten und wir kommen ihnen nahe. Unsere Anwesenheit wird natürlich nicht vergessen,
aber wenn es gut läuft, wird sie akzeptiert. Das funktioniert nur mit Menschen, die man mag. Dann aber entsteht sinnfälliges, dichtes,
intimes Material, der Rohstoff für gute Filme. Für mich war es doppelt reizvoll, geduldig die „Wolfsmenschen“ zu beobachten – und mit
kollegialer Hilfe auch die Wölfe – und so herauszuarbeiten, wie wir zur Natur stehen, auch, wenn sie unsere Kreise stört.
Naturschutz hat nicht zwangsläufig mit Moral oder Romantik zu tun. „Verantwortung für die Schöpfung“ ist nur ein Grund, zu handeln.
Es geht auch um Selbstschutz. Wir sind Teil der Natur, und wir werden sie mit unserer Lebensweise nicht zerstören können. Was wir
allerdings zerstören, sind unsere eigenen Lebensgrundlagen. Trotz der Probleme, die die Wölfe zweifellos verursachen, freue ich mich über
ihre Rückkehr. Ich begrüße, dass die meisten von uns anscheinend bereit sind, die Herrschaft über die Erde wieder zu teilen, auch weil
wir einsehen: Als Alleinherrschende gehen wir unter. Und natürlich gehört auch die ästhetische Sphäre zu diesen Lebensgrundlagen. Wir
brauchen die Wildnis auch für die Gesundheit unseres Herzens.
Wir freuen uns auf Euch!