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Die Filmhaus-Benefizparty war bis zum Jahr 2016 ein Highlight der Bielefelder Feierkultur: Eine große Open Air Hofparty mit Bühnenacts, Livemusik, Filmprojektionen und Installationen zu Gunsten der Filmkultur. Spaßkultur zwischen Message und Medien – das Filmhaus präsentiert bis 2016 einmal im Jahr erweiterte Filmkultur im großen Stil. Die Filmhaus-Partys avancierten zu einem idealen Forum, neue Kunst vorzustellen: Die Palette reicht von Performances, Installationen und Videoaktionen bis zu Tanz, Theater und Stummfilmen.

Not macht erfinderisch: die Geschichte eines erfolgreichen Konzepts
Seit der Gründung des Lichtwerks 1985 ist die Filmhaus-Sommerparty auf dem Hofgelände am Lichtwerk sukzessive zu einem der großen jährlichen Events in Bielefeld geworden. Hier werden mit Filmen vom Fass die Bedürfnisse von Körper und Geist auf ideale Weise befriedigt. Ekstase und Entspannung, Kunst und Kultur, Gebrabbel und Filmgenuss, Balz und Pils: all das – und zwar für alle Altersklassen – vereint dieser feierliche Pflichttermin.

Lichtwerk Eröffnungsparty 1985

Das Lichtwerk würde im November 1985 eröffnet

Mit der ersten Party „Film ab!“ wurde die Eröffnung des mit ehrenamtlichen Kräften gemauerten Kinosaals gefeiert. In den Folgejahren diente die Filmhausparty reinen Benefizzwecken für das damals äußerst finanzschwache Lichtwerker-Team. Denn selbst in den eigenen Vereinsreihen wurden die Kino-Enthusiasten argwöhnisch betrachtet. Die Verbreitung der Filmkultur stand zwar in der Filmhaus-Vereinssatzung direkt neben dem Anspruch, die Produktion zu fördern, aber musste denn ein eigenes Kino unbedingt sein? Außerdem schienen die Lichtwerker den Filmemachern ein wenig jung zu sein…
Doch nicht nur das anspruchsvolle, ambitionierte Programm und der Publikumszuspruch gaben der Kinofraktion recht. Die Filmhaus-Benefizparty stellte sich alsbald als zugkräftige Möglichkeit dar, den studentischen Bielefeld-Frischlingen den etwas versteckten Ort der Filmkultur vertraut zu machen. (Damals zählte der Bereich um die August-Bebel-Straße nicht unbedingt als Vorzeige-Quartier!). Mittlerweile verzeichneten die Veranstalter bis zu 1.500 Besucher in den Räumen an der August-Bebel-Straße und auf dem angrenzenden Hofgelände.

Filmhaus-Benefizpartys Metamorphosen 2014

Mit ihrer typischen Mischung aus anspruchsvollen Acts, Avantgarde und niveauvoller Spaßkultur verschafften sich die Filmhaus-Partys bei einem breiten Publikum rasch den Ruf des absoluten Sommerlochkillers. Neben einer themenorientierten Dekoration und einer stimmungsvollen Ausleuchtung des Geländes bildeten sich alsbald Musikdarbietungen, Filmquiz, und Disco, als feste Bestandteile des Festprogramms heraus. Doch gerade auf den Partys wurde schon sehr bald deutlich, wie schnell sich das Filmhaus in ein Haus der Film- und Medienkultur weiterentwickelt hatte. Die Jahresfeiern avancierten jedenfalls zu einem idealen Forum, neue Kunst vorzustellen.

Die Filmhaus-Benefizparty  – Message & Medien
Von Anfang an legten die Party-Impresarios aus dem Filmhaus Wert auf ein ungewöhnliches Werbekonzept. Zu dem jeweiligen filmischen Partymotto erdachten die Grafik-Designer von Artists Unlimited Matthias Arndt, Klaus Seelig, Katharina Künkel und Kirsten Beckmann ausgefallene und auffällige Plakate und Flyer, Kult-Objekte, die heute als Sammlerstücke gehandelt werden. Zusätzlich wurde die riesige Plakatwand an der Viktoriastraße mit den Partymotiven gestaltet.

Jenseits von Edam Plakatwand
Das Programm bot neben speziellem Filmpräsentationen im Lichtwerk fast immer Open-Air Kino der besonderen Sorte. Mehrfach wurden Stummfilme mit Livemusik auf dem Hofgelände dargeboten. Buster Keatons „The Cameraman“ wurde vom Bielefelder Duo Schwartze/Schweizer begleitet; zu „The Cat and the Canary“ mixte der Klang-Performer Helmut Lemke Geräuschcollagen mit Bogenstrichen auf meterlangen Stahlsaiten. Gastkünstler der Künstlergruppe „Artists Unlimited“ hatten auf den Parties regelmäßig ihre Auftritte. Lange vor Etablierung der DJ-Kultur zelebrierte Claus van Bebber seine Schallplattenkonzerte mittels Dutzender präparierter Gerätschaften. Der Videokünstler Adam Boome kommunizierte in seiner Show mit zwei Beamern; das Bielefelder Avantgarde-Duo Velour Chrome kombinierte improvisierte Musik mit einem Video-Live-Mix. Mit dem Auftritt des Theatrum Somnium Medusae unter der Leitung von Filmhaus-Mitglied Olga-Elena Ost erlebte das Publikum einen aufregenden Crossover zwischen Oper, Theater und Film. „Der Himmel kann warten!“ lautete ein Partythema und dementsprechend verwandelte sich der Hof bei Einbruch der Dunkelheit mittels riesiger Tuchbahnen und wolkiger Videoprojektionen in einen virtuellen himmlischen Wartesaal. Aber auch bei anderen Parties installierten die Filmhaus-Mitglieder Jörg Erber, Holger Neu, Tom Meyer, Henning Poltrock, Achim Lübbeke themenorientierte Videokunstwerke. Andreas Klatt forderte mit seinem interaktiven Videotheaterstück „Beckett“ der Filmhaus-Technik alles ab. Eher kultig ging die Lesung von Dietmar Wischmeyer alias „Der kleine Tierfreund“ im Lichtwerk vonstatten.

Zu klassischen Tönen ließen die Feuerwerkskünstler von Flash Art einen Feuervogel von der Zinne des Fahrstuhlturms über das überraschte Publikum fliegen und die Filmemacher der Freax-Show aus Hannover moderierten ein Trash-Programm. Mit der Tanzperformance „Pistol“ präsentierte Filmhaus-Mitglied Dyane Neiman ihr Erfolgsstück in einer Kurzversion vor der eigentlichen Uraufführung. Passend zum Partymotto „100.000 rote Rosen“ war ebenfalls von Dyane Neiman eine Choreographie zum Romeo & Julia-Thema zu sehen, welche gleichzeitig in der Art des Reality-TVs auf eine große Leinwand übertragen wurde.

Never Say Never – Keine Filmhausparty mehr?
Die Filmhaus-Benefizparty ist mehr und mehr ein Opfer ihres Erfolgs geworden. Mit der Party 2016 haben die Verantwortlichen im Filmhaus beschlossen, keine weiteren Veranstaltungen in dieser Größenordnung durchzuführen. Durch die Ausgliederung des Lichtwerks in eine eigenständige Gesellschaft verringerte sich der finanzielle Druck auf den Verein. Weiterhin sahen sich die Verantwortlichen im Filmhaus vor dem Problem, das Sicherheitskonzept für eine Veranstaltung dieser Größenordnung professionalisieren zu müssen. Gleichzeitig gab es Ideen für alternative filmkulturelle Projekte; so wurde z.B. beschlossen, das Wanderkino „Bielefeld leuchtet!“ zu einer regelmäßigen Veranstaltung zu machen und durch das Format „Filmhaus leuchtet!“, das einmalige Open Air Kino im Filmhaus-Innenhof, zu erweitern.

Filmhaus leuchtet Publikum

Die Jahrestitel der Filmhaus-Benefizpartys

1986 Film ab! Eröffnungsparty Lichtwerk
1987 Ein Jahr Lichtwerk Geburtstagsparty
1988 30 Grad im Schatten
1989 Ich schau dir in die Ohren, Kleines!
1990 Jenseits von Edam
1991 Blow up
1992 Besonders wertvoll – 10 Jahre Filmhaus
1993 Zorro und die Zonies
1994 Gut kommt besser
1995 Liebe! Ekstase! Erlösung!
1996 Traumpatrouille – Mach dich zum Feiern bereit, Erdling!
1997 Sturmfreie Bude
1998 100.000 rote Rosen
1999 Der Himmel kann warten!
2000 Sirenengesänge
2001 Heißer Sand
2002 Außer Atem
2003 Freie Liebe
2004 Selten Vögel [sehr gut drauf]
2005 Alles auf Rot
2006 Verbotene Früchte
2007 Fortsetzung folgt!
2008 Ich bin so wild
2009 Nachtschwärmer
2010 Seele brennt
2011 Mikroorgasmen
2012 Garten der Lüste
2013 Und wie Du wieder aussiehst!
2014 Metamorphosen
2015 Süße Haut
2016 Sommerküsse

 

 

 

„Ich habe mich verfehlt“ soll Vincent van Gogh nach seiner tödlichen Schussverletzung gesagt haben. Unter diesem zweideutigen Motto rief das Filmhaus befreundete Künstlerinnen dazu auf, Kunstkommentare zum Werk oder Leben des Malers zu gestalten.

Passend zur Ausstellung zum 100. Todestag van Goghs zeigte das Lichtwerk eine Reihe von Filmen über van Gogh und lud den Filmemacher Christoph Hübner mit seinem Dokumentarfilm „Der Weg nach Courrières“ ein. Im „Lichtwerk“-Foyer waren Arbeiten von Matthias Arndt, Jan Borgstede, Pedda Borowski, Jan Kreft, Kerstin Richter, Hartwig Schwarz uznd Tania Smolka zu sehen.

Paul Gaugin fait visite à Vincent van Gogh

Paul Gaugin fait visite à Vincent van Gogh. Schnitzerei von Tania Smolka und Jan Borgstede

 

Das Cocteau-Festival im Lichtwerk geht auf die Initiative des Präsidenten der Künstlervereinigung „Artists Unlimited“, Daniel Bérenger, zurück.

Im Zentrum stehen die Werke des französischen Schriftstellers, Malers und Regisseurs (1889-1963). Das Lichtwerk verwandelt sich im April 1987 dementsprechend in einen Multifunktionsraum für eine Kammeroper („Die menschliche Stimme“), ein Theaterstück („Der schöne Teilnahmslose“) und Filmvorführungen („Orphée“, „Les parents terrible“, „Le sang d’un poète“). Eine Ausstellung mit Zeichnungen von Jean Cocteau gab es natürlich auch noch.

Cocteau-Festival im Lichtwerk 1987

Cocteau-Festival im Lichtwerk 1987

Im Sommer 1985 zieht das Filmhaus in die ca. 200qm große Etage in der ehemaligen Papierwarenfabrik „Julius Opitz, Papier und Druck“ an der August-Bebel-Straße. Diese „Landnahme“ ist das Ergebnis einer konzertierten Aktion von Liegenschaftsamt (Günther Tiemann), Kulturamt (Horst Adam) und Kulturausschuss (Horst Thermann).

Aus heutiger Sicht kann dieses Vorgehen nicht hoch genug bewertet werden: Dass drei Institutionen der Stadt Bielefeld Vertretern der freien Kultur dieses Vertrauen schenkten und dafür sorgten, dass das Bielefelder Kulturleben reichhaltiger, vielfältiger und partizipativer wurde, war schon ein gewisses Wagnis. Aus dem zuständigen Dezernat kamen zur Entwicklung der freien Kultur übrigens keine Signale, was leider auch später lange so bleiben sollte. Dass der „Panzerkreuzer August-Bebel-Straße“ mit „Artists Unlimited“, „Milestones“ (damals noch „Café Pönk“) und „Filmhaus“ mit seinem „Lichtwerk“ in den Bielefelder Osten hineinstrahlte und den Stadtteil attraktiver machte, erweist sich als glücklicher Baustein in Sachen Stadtentwicklung.

In diesem Gebäude kann das Filmhaus endlich seinem Namen gerecht werden. Denn die, zum großen Teil in Eigenarbeit hergerichteten Räume bieten Platz für eine Abspielstätte (Kino) mit Foyer, ein Büro, zwei Schneideräume für Video und Film und einen geräumigen Seminar-/Versammlungsraum. Gleichzeitig ergeben sich durch die Einbindung in das vom Verein „Artists Unlimited“ bewohnte Atelierhaus vielfältige Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Kulturschaffenden aus anderen Bereichen der bildenden Kunst.
Der Verein besitzt erstmals eine räumliche Basis, die die kontinuierliche Arbeit erleichtert und eine ständige Anlaufstelle für die Bielefelder darstellt.

Julius Opitz Papierwarenfabrik